Mittwoch, 12. September 2007

Sturm am Turm


12.09.07, FR
Wie man Frankfurt lieben lernt Am Eschenheimer Tor zeigt sich die Innenstadt in all ihrer Hektik

VON CLAUDIA MICHELS

Halt", möchte man rufen, als Flaneur am Eschenheimer Tor, wo die Lastwagen ein solches Tempo aufnehmen, dass der Asphalt bebt - "halt, hier sind Menschen!" Menschen, die sich meist auf der Flucht befinden: bloß rüberkommen über den Straßenknoten, irgendwie. Schnell und wortlos. Denn an dem historischen Stadttor, da bleibt einem vor Lärm das Wort im Halse stecken. Trotz der ratlosen Blicke versprengter Touristen, die mit den Augen am Eschenheimer Turm Maß nehmen, sich fragend, ob das alles ist.

Die anderen Menschen am Turm sind die, die etwas machen. Die den Bürgersteig auffräsen oder die Hochbeete mit Rindenmulch füllen. Die heißes Wasser über die U-Bahn-Treppen sprühen, Straßen-Sperrgitter abladen oder Schilder aufhängen. Die heute Gerüste abbauen und morgen Gerüste aufbauen. Gefallen sind die Gerüste am Bayer-Haus, das zum "Fleming's-Hotel" wird. Es steht: das Gerüst am Turm-Kino.

Trutzburg im Trubel

Dort haben unsichtbare Hände ein haushohes Werbe-Poster vor die lange Seite des Lichtspieltheaters geknüpft. Der Fassadenmaler, der seit Wochen versucht, auf die schäbige Wand die Front einer mittelalterlichen Trutzburg aufzutragen, versucht dahinter, seinem Auftrag im Liegen nachzukommen. "Sehen Sie was Sie wollen, wann Sie wollen" lockt die T-Home-Werbung von der Kino-Mauer die Frankfurter ins heimische Pantoffel-Kino.

Aber das Turm-Kino ( "free choice seating"), es lebt. "Popcorn Maxi 5,70 Euro", das hört sich doch sehr heutig an. Und das Wirken des Kinos mit den englischsprachigen Filmen, neuerdings in Frage gestellt, weil als Standort für ein Wohn-Hochhaus ausgeguckt, zieht sogar Kreise. Nebenan, in der früheren Videothek, kann man zwei nette Buchhändlerinnen antreffen, die es seit vier Wochen mit einer internationalen Buchhandlung am Chaos-Knoten Eschenheimer Tor versuchen.

Lesestoff gibt's in vier Sprachen, Englisch, Italienisch, Spanisch, Französisch. Und mit den beiden also noch mehr Menschen, die am Turm etwas tun. Zum Beispiel die Stimme erheben: "Die Herren sollten, ehe sie ein Hochhaus planen, erst mal den Eigentümer informieren", findet Buchhändlerin Justine Schmitt. Der nämlich "lebt in Amerika" und "hat gesagt: nee".

Damit sind die beiden, die den geschlossenen Laden von "Sussmann Presse und Buch" an der Katharinenkirche überlebt haben, jetzt mit einem Fünf-Jahres-Vertrag ausgestattet. Und vor allem: selbstständig. Um all den Filmfreunden Lesestoff mitzugeben, die abends von der Stiftstraße bis zum Turm-Kino Schlange stehen, ist der Buch- und Zeitschriften-Laden bis 21 Uhr offen.

Wo Zeitschriften im Regal liegen, wollen manche am Eschenheimer-Turm mehr wissen. Zum Beispiel, wo die Frankfurter Rundschau geblieben ist. "Manche Leute fragen danach", heißt es im Buchladen. Die neuen Eigentümer des verlorenen Stammsitzes der Zeitung an der Großen Eschenheimer Straße 18-20 haben als Erinnerungsstütze freundlicherweise die aufeinander gestapelten Wohn-Container der Arbeiter in Rundschau-Grün gestrichen. Nebenan, an der Stiftstraße, kann man hinter dem Bauzaun schon in den riesigen Beton-Schlund der Tiefgarage blicken.

Langer Atem gefragt

Der "lange Atem zum Durchhalten" ist am Eschenheimer Tor ganz klar gefragt. Martin Roth im Laden von Tisapeh Shoes an der Großen Eschenheimer beweist diese Fähigkeit mit all den italienischen Pumps und Stiefeln. Trotz des Staubs und der schlechten Luft. Gerade in dieser abgelegenen Lage, glaubt Roth, "wird der Laden jeden Tag neu entdeckt". Und ist damit täglich für irgendwelche Flaneure eine freudige Überraschung. Wie der Japan-Party-Service im früheren Hörgeräte-Laden nebenan. Wie das Turm-Bistro mit dem ausgehängten Versprechen auf "Wahrscheinlich the best Flammkuchen in Town" .

Es bleibt nicht anderes, als mit Schuhverkäufer, Buchhändlerinnen, Sushi-Köchen, zu hoffen: "Wir sind zuversichtlich, dass es hier richtig gut wird."

Donnerstag, 6. September 2007

Innenstadt - Anzeichen für einen Aufschwung

Von Matthias Alexander

6. September 2007, FAZ
Die Stadtverordneten im Planungsausschuss waren mit ihrem Urteil schnell bei der Hand. Auf Geheiß von Planungsdezernent Edwin Schwarz (CDU) musste der Investor Andreas Lyson Ende August erste, noch unfertige Ansichten von jenem Gebäude präsentieren lassen, das demnächst das baufällige „Kino Royal“ ersetzen soll. Was die Ausschussmitglieder zu sehen bekamen, war außergewöhnlich: Mit einer geschwungenen Glasfront wollen die Architekten vom Büro Schneider + Schumacher an der Schäfergasse einen Akzent setzen, der Passanten von der Haupteinkaufsstraße Zeil in die Nebenlage locken soll.

Sprecher fast aller Fraktionen empörten sich nach einem kurzen Blick auf das Modell, nur die Grünen stemmten sich gegen die Schnellabfertigung des Entwurfs. „Mehr als daneben“ fand die Sozialdemokratin Elke Tafel die Fassade, Jochem Heumann von der CDU fühlte sich an ein Parkhaus erinnert. Und der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Oesterling mahnte, der Investor solle sich eine Architektur überlegen, die besser in die Umgebung passe.

Heterogenes Erscheinungsbild

Oesterling dürfte schon länger nicht mehr an der Schäfergasse unterwegs gewesen sein. Sonst wüsste er, dass ein Gebäude, das sich hier an der Nachbarschaft orientiert, eine Art Chamäleon sein müsste: Links vom alten Lichtspielhaus steht ein sehr ansehnliches Haus mit Natursteinfassade, das um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert errichtet worden sein dürfte. Rechts davon findet sich ein denkbar schlichter Nachkriegsbau mit Putzfassade. Und gegenüber zieht sich auf gefühlten 200 Metern die braune Kaufhaus-Fassade von Karstadt aus den achtziger Jahren hin.

Die Sehnsucht nach einem geschlossenen Erscheinungsbild, die die Stadtverordneten gerade in der Debatte um die Altstadt ausleben und nun offenbar auf andere Quartiere übertragen wollen – in dem Innenstadt-Areal nördlich der Zeil, das früher als Neustadt bezeichnet wurde, ist sie fehl am Platz. Zu heterogen ist das Erscheinungsbild zwischen Eschenheimer Turm und Konrad-Adenauer-Straße, das sich in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Einzelne Reste der Vorkriegsbebauung haben sich vor allem an der Alten Gasse erhalten, während an Stephanstraße und Stiftstraße längst Großbauten dominieren.

Statt Investoren zu düpieren, die sich in der lange vernachlässigten Gegend engagieren wollen, sollten die Stadtverordneten die Ansätze für eine Aufwertung unterstützen. Denn es tut sich etwas: Besonders augenfällig ist es im Fall der Baustelle von „Frankfurt Hoch Vier“. Noch wird die Brache, die nach dem Abriss des „Rundschau“-Hauses an der Ecke von Großer Eschenheimer Straße und Stiftstraße entstanden ist, für die Baustellenlogistik des Riesenkomplexes benötigt. Doch längst sitzen Berliner Architekten an den Entwürfen für einen achtgeschossigen Neubau, der bis 2010 fertiggestellt werden soll. Im Erdgeschoss und im ersten Stock werden Läden unterkommen, darüber Büros und einige Wohnungen.

Abriss des Turm-Kinos

Die Stadt trägt sich mit dem Gedanken, in der Nähe weitere Hochhäuser zu genehmigen. Drei Standorte hat Stadtplaner Jochem Jourdan in seinem Entwurf für den neuen Hochhausrahmenplan ins Spiel gebracht. Ein weiteres Hochhaus könnte auf dem verbliebenen Teil des Telekom-Areals an der Stiftstraße gebaut werden; zwei Wohntürme mit bis zu 80 Metern Höhe sollen neben dem schon vorhandenen Hochhaus namens „Skylight“ entstehen.

Es zeichnet sich ab, dass vermutlich fast der gesamte Block mit den Turm-Kinos abgerissen und neu bebaut werden wird. Stefan Majer, planungspolitischer Sprecher der Grünen, will sich dafür stark machen, potentielle Investoren darauf zu verpflichten, auch weiterhin den Betrieb eines Kinos zu ermöglichen, das Filme im englischsprachigen Original zeigt – das Kino sei schließlich ein Fixpunkt für die wichtige angelsächsische Community in Frankfurt, argumentiert er.

Neues Leben in alte Gemäuer will die evangelische Kirche bringen. Die Peterskirche wird derzeit für rund 5,5 Millionen Euro zur „Jugendkulturkirche St. Peter“ umgebaut. Nach der für die Jahreswende geplanten Eröffnung wird das Hauptschiff der Kirche als Veranstaltungsfläche für Konzerte und Partys dienen. Ein Café, Verwaltungs-, Seminar- und Beratungsräume kommen hinzu, dazu auch ein Sakralraum. Der Haupteingang wird von der Bleichstraße nach Süden verlegt: Die Jugendlichen werden also von der Zeil her über den Peterskirchhof mit seinen Grabmälern bedeutender Frankfurter Familien in die Kulturkirche kommen. Auch das wird zu einer Belebung der Stephanstraße beitragen.

Anziehungskraft des Quartiers

An deren östlichem Ende beginnt ein Quartier, das zu den quirligsten in Frankfurt gehört. Die Schwulenszene, die nicht nur in Frankfurt als Pionier bei der Aufwertung vernachlässigter Stadtteile mit großem urbanen Potential fungiert, dominiert mittlerweile mit den einschlägigen Geschäften das Bild rund um den Klaus-Mann-Platz. Auch das NH-Hotel trägt seit einigen Jahren zur Belebung bei. Dass die schwarz-grüne Koalition beschlossen hat, im Zuge der geplanten Neugestaltung der Zeil auch die Große Friedberger Straße aufzuwerten, ist eine weise Entscheidung. Es ist wichtig, die Straßen, die in Nord-Süd-Richtung auf die Zeil stoßen, von ihrer reinen Andienungsfunktion zu befreien, die sie zum Sackgassen-Dasein verurteilt. Das Innenstadtkonzept, das Planungsdezernent Schwarz demnächst präsentieren will, sieht dem Vernehmen nach auch eine Aufwertung der Schäfergasse vor.

Von der gestiegenen Anziehungskraft des Quartiers weiß auch Andreas Lyson zu berichten. Er hat unlängst das Wohn- und Geschäftshaus „Stadt Cassel“ an der Großen Friedberger Straße saniert. Die hochwertig sanierten Wohnungen seien im Nu vermietet gewesen, berichtet Lyson. Das großzügige Ladenlokal samt modernem Hinterhaus hat das Einrichtungshaus Leptien 3 bezogen, im Hinterhof wurde zudem für die Galerie Bärbel Grässlin die Lagerhalle eines Glasbauers umfunktioniert. Es ist ein stimmiges Ensemble entstanden, das die Potentiale auch anderer Blockinnenräume in der Umgegend offenlegt.

Davon haben sich auch die neuen Eigentümer des Helberger-Hauses direkt neben dem Haus „Stadt Cassel“ überzeugen lassen. Die Viterra Development will es nicht nur entkernen und mit einer neuen Fassade versehen, wie Niederlassungsleiter Justus Foerschner mitteilt. Auch der Innenhof soll neu gestaltet werden. Die Chancen, dass sich weitere Immobilienbesitzer zur Aufwertung ihrer Häuser animieren lassen, stehen nicht schlecht. Auch bei Karstadt wird offenbar neu nachgedacht. Es könnte der Durchbruch zum Besseren sein.

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